Bis Anfang des 20. Jahrhunderts galt in Gressoney Hochdeutsch als Schriftsprache und Titsch als informelle, rein gesprochene Variante. Dennoch gab es mit Louis Zumstein (1805-1871) einen Autor, der schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einige Gedichte in der Mundart Titsch verfasste. Damit gelang es ihm, der seine Gedichte auch auf Deutsch und Französisch schrieb, einen unmittelbaren Bezug zu seinen Landsleuten herzustellen, die er nur zu gern mit beißendem Spott bedachte. Als erster Mundartdichter stand Zumstein vor der Aufgabe, für seinen Dialekt ein graphisches System zu finden, wobei er sich vor allem an der deutschen Schriftsprache orientierte (deutsches Alphabet, Groß- und Kleinschreibung etc.). Zu Lebzeiten wurden nur einige seiner Gedichte auf losen Blättern gedruckt und verteilt, der Großteil seiner Gedichte ging leider verloren.
Die zweite bedeutende Autorin Margherita “Grittle” Scaler (1895-1983) hatte mit Zumstein nur die Sprache und die Herkunft (beide entstammten Gressoneyer Krämerfamilien) gemein. Ihre Gedichte waren alles andere als scharfzüngig und befassten sich vielmehr mit der Natur, dem Glauben und dem gemeinschaftlichen, alltäglichen Leben.
Neben den beiden Autoren Zumstein und Scaler gab es eine Reihe weiterer Gressoneyer Mundartdichter wie Ferdinand Castel (1830-1907), Caterina Castell Lettry (1859-1939), Erwin Monterin (1913-2006), Bruno Favre (1914-1991), Attilio Squinobal (1921-1995) und Nelly Schmit (1923-), deren Werke neben denen von Zumstein und Scaler in “Orizzonti di Poesia” vom Walser Kulturzentrum (1995) publiziert wurden.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts geriet die walserdeutsche Mundart immer mehr durch das Italienische in Bedrängnis und parallel dazu nahm ihre schriftliche Verwendungsform zu. Eine besondere Herausforderung stellten aufgrund ihrer Vers- und Strophenform und der ihr eigenen Bilder- und Symbolwelt poetische Texte dar. Umso erstaunlicher ist es, wie viele Gressoneyer/-innen sich dem Gedichtschreiben widmeten und heute noch widmen. Durch die Sprachwahl gelingt es ihnen, enge Bezüge zur Ortsgemeinschaft, zur bodenständigen Kultur, zum nunmehr bedrohten sprachlichen und kulturellen Erbe und oft auch zur eigenen Kindheit herzustellen. Erwähnenswert sind die Gedichte von Luciana Favre (*1949), die in den Publikationen der “Amici della Piazza di Mondovì” Eingang fanden.